Monatsrückblick Februar

[enthält unbezahlte Werbung in Form von Restaurant- und Buchtipps] Vielleicht freunde ich mich ja doch noch mit meinem Geburtstagsmonat Februar an. Dachte ich. Und dann kam der feige, rassistische Anschlag von Hanau, dem neun Personen vor und in Shisha-Bars willkürlich zum Opfer fielen. Ich bin in Hanau viele Jahre zur Schule gegangen und hatte meinen Lebensmittelpunkt dort. In meiner Klasse waren Sedat und Aysel und Jovanka unsere Mitschüler*innen. Mittags holte man sich Fladenbrot beim türkischen Gemüsehändler und abends hat man sich in die Kasernen der GIs schmuggeln lassen, weil es da den besten TexMex-Laden gab.

Hanau ist multikulturell, tolerant, weltoffen. Und mir blutet das Herz, dass der Name dieser Stadt, in der ich so viel Zeit verbracht habe, in der heute noch Freunde leben, nun für immer mit dieser grauenvollen Tat verbunden sein wird. Heute überträgt der Hessische Rundfunk die offizielle Trauerfeier im TV und Radio. Und vielleicht können wir, auch wenn die Kameras aus und die Fernsehteams abgezogen sein werden, daran arbeiten, es nicht bei Beteuerungen und Phrasen zu belassen, sondern auch im Alltag einzustehen für das Miteinander, für Toleranz und für all das, was uns als Menschen eint. Dann wäre dieser Februar doch noch für etwas gut gewesen…

Und wie spanne ich da jetzt den Bogen? Denn es gab auch schöne Augenblicke im Februar, für die ich dankbar bin und die ich gerne mit Euch teile. Weil ich wieder viel über den Tellerrand schauen und meinen Horizont erweitern durfte. Was für ein großes Glück.

Gesehen

Weil die Streaming-Dienste wenig hergaben, waren wir einfach mal live unterwegs: Ruhrpott-Comedian Torsten Sträter war im Wiesbadener Kurhaus zu Gast und, joah, kann man machen. Generell halt so ein bisschen „alte, weiße Männer“-Bockigkeit. Aber sympathisch und lustig genug für einen entspannten Abend im wunderschönen Thiersch-Saal, den man sich hier mal genauer angucken kann.

Ist eine Poetikdozentur jetzt eher „gesehen“ oder „gelesen“? Dass ich ein großer Fan von Buchpreis-Träger Saša Stanišić bin, hab ich hier schon vor JAHREN (!) kundgetan. Natürlich muss ich dann dringend zu meinem persönlichen Fangirl-Moment, wenn der Lieblingsautor – und, ja, ich finde, er ist der derzeit beste im deutschsprachigen Raum! – in der eigenen Heimatstadt Wiesbaden Poetikdozent ist. Wer so virtuos und humorvoll mit einer Sprache umgeht, die er erst als Teenager gelernt hat, und bei allen verdienten Lorbeeren noch so zugänglich bleibt, der muss dann leider auch mein allererstes Promi-Selfie über sich ergehen lassen. Aber, hey, Thomas Mann lebt halt nicht mehr! Pech gehabt, Saša! Der Autor ist übrigens noch im April und Mai für Lesungen in Wiesbaden.

Immerhin hab ich mir mit einer Restaurant-Empfehlung das Selfie verdient! Win-Win.

Gelesen

Usseliges Februarwetter führte glücklicherweise dazu, dass ich ausreichend Lesezeit hatte. Ein weiterer Seefahrer-Roman in meiner langen Liste war „Wir Ertrunkenen“ von Carsten Jensen ein echtes Highlight. Für die Facebook-Gruppe „Bookaholics“ hab ich das Buch dann auch gleich mal ausführlicher besprochen:

Aber an diesem Abend tanzten wir mit den Ertrunkenen – und sie und wir waren eins.“ So lautet der letzte Satz in Jensens gewaltigem Epos, das über den Leser/die Leserin hereinschwappt wie eine eiskalte, haushohe Welle, die einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Ich bin ja bekanntermaßen Fan von Seefahrerromanen und habe viele aus unterschiedlichsten Epochen gelesen. Deswegen erlaube ich mir zu urteilen: „Wir Ertrunkenen“ ist einer der besten seines Genres! Und der letzte Satz fasst noch mal alles zusammen, worum es geht: Die Menschen, die das kleine dänische Marstal an das Meer verliert – auf die ein oder andere Weise.

Jensen stammt selbst aus dem dänischen Marstal, über dessen Seefahrerfamilien er in diesem Epos schreibt. Rund 100 Jahre lässt er Männer, Frauen und Kinder dieses kleinen Küstenortes auftreten – häufig nur in Anekdoten, teils mit großen Zeitsprüngen dazwischen. Aber immer mit dem roten Faden der Seefahrt. (In einem umfangreichen Nachwort erklärt Jensen, welche Personen und Geschichten fiktiv sind, welche es tatsächlich gab und wie er sich diesem sehr persönlichen Thema (sein Vater war ebenfalls Seefahrer) genähert hat.

Mich haben die Menschen, die Jensen uns vorstellt, sofort gepackt. Seien es alte Seebären oder Jungens, die von nichts anderem träumen als vom Sternenhimmel über den Tropen und den schönsten Frauen von Mexiko und Buenos Aires. Seien es die verhärmten Frauen, die jahrelang auf ihre Männer warten (teils vergeblich) und alles am Laufen halten müssen, oder die, die sich dagegen auflehnen, dass das Meer ihnen die Väter, Männer, Brüder und Söhne nimmt.

Oftmals ist der Roman komisch und witzig. Manchmal möchte man heulen oder kann kaum glauben, wie hart das Leben an Bord sein konnte. Hautnah erleben wir mit, wie die Ära der Segelschiffe endet und die Flotte den dampf- und motorbetriebenen Riesen weichen muss. Wir erleben, wie der Krieg die Regeln der Seefahrt (Hilf Schiffbrüchigen! Kümmere Dich um Deine Mannschaft!) außer Kraft setzt. Und wir können sie spüren, diese Sehnsucht und den Sog, den das Meer seit Urzeiten auf die Menschheit ausübt.

Für alle, die das Meer lieben, ohne das harte Leben der Seefahrer zu romantisieren, ist dieser kluge, facettenreiche und liebenswerte Roman eine Bereicherung. Wer lieber auf Berge wandert und schon bei einer Teich-Überfahrt grün im Gesicht wird, liest besser etwas anderes!

Und außerdem auf dem Nachttisch:

Über „Denn Du sollst sterben“ von Deborah Crombie breite ich gnädig den Mantel des Schweigens. Die Krimi-Reihe ist in den Jahren leider nicht besser geworden: ein zäher Fall, ein viel zu viel mit Familiensachen beschäftigtes Ermittlerpaar und ein Cotswolds-England aus dem Lifestyle-Magazin. Gääääähn…

Noch mehr alte, weiße Männer gefällig? T. C. Boyle hat mit „Sind wir nicht Menschen“ einen neuen Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht. Abgesehen davon, dass mir im Titel ein Fragezeichen fehlt, ist natürlich das übliche Boyle-Personal am Start: alternde Schriftsteller und Professoren, die junge Nachbarinnen beobachten/schwängern/denunzieren, durch die Gegend wandern, den Hund rausbringen… Liest sich häufig wie Roth und Irving – nur besser, unterhaltsamer und ab und zu wohltuend durchgeknallt. Die in einer unbestimmten Zukunft spielenden Geschichten sind dann auch die besseren im Band.

Gelaufen

…immerhin 48 Kilometer bei sieben Läufen. Und dabei ständig knospende Zweige, Narzissen und Schneeglöckchen fotografiert, weil sich das da draußen schon sehr nach Frühling anfühlt!

Gegessen

…haben wir nicht nur Selbstgekochtes, sondern haben auch ein wundervolles Geburtstagswochenende in Paris verbracht. Aber erstmal der Vollständigkeit halber der Rückblick auf das, was aus unserer Küche kam:

Schnelles Wok-Gericht mit Pak Choi (für das Rezept einfach auf den Link klicken):

Rezept fuer Wok mit Pak Choi.

Gefülltes indisches Fladenbrot mit Kartoffeln und Spinat oder einfach Paratha Palak Aloo:

Rezept Paratha Palak Aloo gefuelltes Fladenbrot.

Asiatisch gebeizter Saibling:

Dal Palak: Linsen und Spinat

Dal Palak Rezept fuer indisches Linsenscurry mit Spinat.

Gemüseeintopf mit Kritharaki, den kleinen griechischen Nüdelchen:

Rezept Gemueseeintopf mit Krithariki German Abendbrot.

Richtig geschlemmt haben wir auf der Welcome Party zum Rheingau Gourmet & Wein Festival, das noch ein paar Tage läuft (also schnell mal ins Programm gucken!). Den Beitrag zum Video findest Du hier.

https://www.instagram.com/p/B886aj6nsTz/?utm_source=ig_web_copy_link

Geschlemmt in Paris

Ein wunderbarer Auftakt für mein Geburtstagswochenende, das wir dann in Paris verbracht haben – bei frühlingshaften Temperaturen und seeeeehr viel Käse! Vielleicht wird der Februar ja doch noch mein Freund. Im letzten Jahr bin ich der Tristesse des Monats nach Rom entflohen. Weil die Anreise nach Paris von Frankfurt aus (durchgehend mit dem Zug oder in von Wiesbaden aus etwa in der gleichen Zeit mit dem Auto) ziemlich easy ist, haben wir uns in diesem Jahr Paris ausgesucht.

Und weil wir beide Paris schon kennen und keine Eiffelturm-Champs-Elysee-Sightseeing-Tour mehr machen mussten, haben wir auf Spaziergängen das quirlige 10. Arrondissement zu Fuß erkundet: Bars, Restaurants mit Genüssen aus sämtlichen Himmelsrichtungen, Boutiquen, Künstler-Ateliers, Gemüse-, Fisch- und Käseläden, wunderschöne Jugendstil-Fassaden, überdachte Passagen für hübsche Entdeckungen und allerlei Streetart… Dazu das idyllische Montmartre in Fußnähe – ebenso wie die Seine und Notre Dame in anderer Richtung. Einen umfangreichen Artikel über das lebendige und sehr pariserische 10. Arrondissement, das einst als schmuddelig galt und langsam gentrifiziert und hip wird, gibt’s auf FAZ.net.

Der bEdW hatte das hübsche, kleine Hotel Mademoiselle aufgetan, das (mit für Pariser Verhältnisse) großen, gemütlichen Zimmern und einem bezaubernden Blick auf Jugendstil-Fassaden ebenso punktet wie mit charmanter Rezeption, modernem Design und reichhaltigem Frühstück.

Aber wer will schon im Hotel frühstücken, wenn um die Ecke mit dem Marché Saint Quentin eine der letzten verbliebenen Markthallen erreichbar ist. Ein Himmel voller Käse, Schinken, Fisch und Gebäck sowie Obst und Gemüse. Überhaupt die Pariser Fromagerien. Gibt es etwas Köstlicheres für Käse-Fans als Paris? Natürlich hat der Markt auch sonntags geöffnet – trotz der Nähe der Franzosen zu Gewerkschaften – so dass ich vor unserer Rückfahrt noch umfangreich shoppen konnte.

Ebenfalls nur wenige Schritte entfernt: die frischesten Austern, die ich abseits der Atlantikküste je gegessen habe. Im Pleine Mer (22 Rue de Chabrol) gibt es ausschließlich Austern und dazu Brot und Salzbutter. C’est tout! Hinter der Bar werden die Austern frisch geknackt und auch wer kein Französisch spricht (moi!), kann mit Händen und Füßen und viel gutem Willen die Eigenheiten jeder einzelnen Auster erfahren. Inmitten von Parisern, die jeweils (!) mindestens ein Dutzend Austern essen, ein unbedingter Tipp für alle, die sich kulinarisch ans Meer beamen wollen.

Einen gemütlichen Absacker inmitten von Studierenden und mit Blick auf den belebten Place Franz Liszt hatten wir im Le Café de l’Église.

Auf der Suche nach Jugendstil

Meinen Geburtstag habe ich sehr pariserisch mit Abendessen im Jugendstilambiente und zu fairen Preisen für echte Pariser Bistroküche (leider eher nix für Vegetarier) ausklingen lassen: Das Bouillon Julien ist seit 1906 Jahren eine Institution im Viertel und macht Jugendstil-Fans wie mich sprachlos: Die Fenster von Louis Trezel erinnern an die Frauenfiguren von Alfons Mucha und die uralten Fliesen stellen eine Blumenwiese mit Gänseblümchen dar. Jeder Quadratmeter atmet Jugendstil – bis hin zu den Toiletten. Angeblich soll hier schon Edith Piaf gekellnert haben, bevor sie berühmt wurde…

Aber obwohl das Julien ein Anziehungspunkt für Touristen ist, ist das Lokal keine dieser üblen Touristenfallen, die man teils auf Montmartre findet. Für 2,60€ gibt es eine kleine Portion hartgekochter Eier mit Mayonnaise, mein Tête de veau (Kalbskopf) mit Sauce Gribiche hat unter 12€ gekostet, die Vorspeisenportion Foie gras gibt’s für unter 10€, die Lachs-Rilette für 6,80€, ein (kleines aber sehr gut zubereitetes Rumpsteak) mit Beilage für knapp 14€. Alles ist ordentlich zubereitet, heiß serviert von (wir sind in Paris!) überraschend freundlichen Kellnern. Dazu der Blick auf diese Jugendstil-Eskalation nur 800m vom Hotel am Rande des quirligen Marais-Viertel entfernt – was, bitte, will man mehr? Aber unbedingt reservieren!! Obwohl die Brasserie groß ist, stehen draußen die hungrigen Gäste meterweit Schlange…

Und wer sich französische Lebensmittel in toller Qualität für zu Hause mitnehmen will, findet auf der nahegelegenen Rue des Martyrs alles, was das Genießerherz begehrt: Fromagerien, Boulangerien, Früchte- und Gemüseläden, Fisch- und Fleisch- sowie Geflügelhändler. Dazwischen Boutiquen, Galerien und Schmuckläden. Diese Straße ist Paris „in a nutshell“ sozusagen. Lässt sich klasse verbinden, wenn man von Sacré-Cœur und Montmartre wieder hinab bummelt Richtung 10. Arrondissement.

Bummel durch Montmartre

Auf dem Weg kann man natürlich auch noch mal einkehren: In der Rue des Abbesses etwas unterhalb von Montmartre finden sich (natürlich!) Lebensmittelläden und Boutiquen ebenso wie kleine Cafés und Brasserien. Ein wunderschöner Spaziergang mit vielen Einblicken und Eindrücken für alle Architektur-Fans! Die Kirche Saint-Jean de Montmartre etwa hätten wir ohne unsere Zu-Fuß-Erkundung nie entdeckt! Da das Wochenende ganz unter dem Motto „Finde den Jugendstil“ stand und das in Paris auch mit zwei Gläsern Champagner im Kopf problemlos möglich ist, musste ich mir dieses wunderschöne Gebäude unbedingt anschauen. Es ist das erste sakrale Bauwerk aus Stahlbeton, komplett mit Ziegeln verkleidet und im Innern ein Feuerwerk an geometrischen und floralen Elementen. Etwas heruntergekommen leider, aber in jedem Fall sehenswert. Nicht weit von dort, im Le Sancerre, hatten wir zur Stärkung dann noch eine köstliche Käseplatte und – naturellement! – ein Gläschen Champagner.

Und im März?

Im März freue ich mich auf eine Einladung ins Restaurant Kraftwerk in Oberursel/Ts., auf frühlingshafte Läufe in 3/4-kurzen Laufhosen, die erste blühende Magnolie (immer die erste ist die vor der Wiesbadener Marktkirche!), die Neuübersetzung von George Eliots „Middlemarch“ von Melanie Walz, die Verfilmung von „Unterleuten“ von Julie Zeh (den Roman mochte ich sehr und fürchte mich etwas vor der ZDF-Adaption) und dass ich hoffentlich endlich den mit Oscars überhäuften Film „Parasite“ sehen kann.

Und worauf freut Ihr Euch im März?

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