Lesefutter: COMFORT FOOD – Gute Laune Küche aus New York (Rezension)

Heute habe ich frei, weil Brückentag ist. Also kann ich mir Zeit für’s Kochen nehmen. Deshalb gibt es auch kein Friday Night Dinner Date. Stattdessen kann ich in meinen Kochbüchern und den Foodblogs anderer stöbern, mich inspirieren lassen. Als ich noch angestellt war, hatte ich komischerweise nie an den Brückentagen frei. Immer hatte ich zu lange gewartet, bis die Kollegen schon alle Tage weggeschnappt hatten. Und auch an gaaaaanz ruhigen Tagen musste ja immer jemand erreichbar sein. Oft war ich das. Oder einem internationalen Kunden war gerade mal wurscht, dass bei uns ein „Brückentag“ war, den sowieso kein anderes Land kennt. Aber seit ich mein eigener Herr bin, kann ich mir an Tagen wie heute frei nehmen – auch wenn ich sicherlich die ein oder andere Email bearbeiten oder ein bisschen Schreibkram erledigen werde.

Lesereise nach New York: COMFORT FOOD

Ich mag schön gestaltete Kochbücher. „COMFORT FOOD Food. Gute-Laune-Küche aus New York“ von Russell Norman (Fotos: Jenny Zarins; PRESTEL-Verlag, 32€, ISBN 978-3-7913-8331-6)* ist so ein Exemplar. Es ist erstmal ganz schön schwer, bleibt aber gut geöffnet liegen. Bei Kochbüchern ein echtes Killer-Argument. Nicht selten muss der kiloschwere Mörser als Blattbeschwerer herhalten. Gedruckt wurde auf dickes, mattes Papier, das derzeit so in ist, wenn es um Herzhaftes geht (etwa bei Stevan Pauls „Auf die Hand“ oder „Home Made“ von Yvette van Boven). Der offene Buchrücken passt gut zum Industrial Chic, den wir mit dem Meatpacking District verbinden. Dazu das stylish kupferfarben glänzende Feld im Titel, das an Braukessel erinnert – sehr schön gemacht! Fetter Pluspunkt.

Comfort Food New York Kochbuch
Pizzette is just another word for Flammkuchen

Die Fotos sind zeitgemäß arrangiert, hell, appetitlich – eben dem Zeitgeist entsprechend. Mir gefällt der reduzierte, „saubere“ Style sehr gut. Es liegen erfreulich wenige Lebensmittel auf Brettern und neben Tellern umher. Du weißt, was ich meine, oder?

Und gegen Comfort Food ist ja erstmal nichts zu sagen. Zwar mag jeder in anderen Gerichten Trost finden (nichts geht über Spaghetti Bolognese, vom bEdW gekocht). Aber auch ein hausgemachter Burger, getrüffelter Eier-Toast, frittierte Reisbällchen oder mit Bourbon veredelte Brownies können uns gut tun. Dazu einen Old Fashioned und ich verzeihe fast jedem fast alles.

Allerdings würde mir mein Hosenbund nicht verzeihen, wenn ich nur noch Gerichte aus Russell Normans Kochbuch kochen würde. Denn für zartbesaitete Kalorienzähler ist „COMFORT FOOD“ garantiert die falsche Lektüre. Wie gut, dass mir mein Hosenbund mal den Schuh aufblasen kann und ein Gin Palace Shandy quasi keine Kalorien hat *hüstel*

NYC entdecken und genießen

Entdecken und Genießen heißen die beiden Sektionen, in die das Buch unterteilt ist. In der ersten spazieren wir durch West Willage, Greenwich Village und den Meatpacking District, durch Little Italy, NoLIta und Soho, durch die Lower East Side, Chinatown und TriBeCa sowie abschließend durch Williamsburg. Wer so weit gelaufen ist, kann dann auch genießen: Brunch, Spuntini & Toast, Pizzette, Salate & Dressings, Slider, Fischgerichte, Fleischgerichte, Desserts und Drinks heißen die etwas schwer zu durchblickenden Kategorien. Denn die Slider (kleine Hamburger) enthalten Fleisch oder Fisch. Und zum Brunch gibt es auch Toasts.

Kochbuch Comfort Food Russell Norman
Croque Monsieur

In New York eintauchen

Russell Norman ist Koch und hat sich in New York schockverliebt. Denn er stammt nicht aus der Megametropole sondern betreibt ein Lokal in London. Das findet man erst nach und nach raus und wäre – finde ich – ein wertvoller Hinweis gewesen. Mag er als Koch im United Kingdom bekannt sein, sagt er hierzulande sicher den wenigsten etwas. Gleich über den ersten Satz im Vorwort bin ich deshalb gestolpert: „Meine Liebe zu New York begann lange bevor ich zum ersten Mal in dieser Stadt war…“ Und weiter: „Als ich schließlich 1999 auf dem John F. Kennedy Airport landete…“ – da wüsste ich schon gerne, woher der Autor den angeflogen kam? Mittlerweile weiß ich, dass Russell Norman in London das Spuntino betreibt, in dem er New-York-Klassiker serviert. Aber darauf musst Du als Leser ja erstmal kommen. Über die Frage, warum eine von so vielen Einflüssen reiche Stadt wie London ein Lokal mit New-York-Food braucht, könnte man auch mal nachdenken. Aber der Laden brummt ja scheinbar… Also spazieren wir mit Russell Norman durch New York, wo er uns seine Lieblingslokale verrät und Tipps für den Städtebummel gibt. Das liest sich charmant und sympathisch. Ich bin jedenfalls kurz davor ein Flugticket zu kaufen. Dass der Autor und Koch New York über die Filme und Serien seiner Jugend verfallen ist, macht ihn noch sympathischer. Auch ich glaube New York zu kennen, weil ich vermutlich schon an 1.000 Orten war, die ich doch nur durch die Kameralinse kenne.

Sich New York einverleiben

Jede Rezept-Kategorie wird durch eine Einleitung vorgestellt, jedes Rezept durch eine Einführung eingeleitet. Das findet sich immer häufiger in Kochbüchern und mich beschleicht der leise Verdacht, dass Autoren sich das von uns Foodbloggern abgeschaut haben. Ist doch auch zu schön, wenn man die Geschichte eines Rezepts kennt oder eine nette Anekdote erfährt. In den Kochbüchern meiner Mutter war jedenfalls nichts dergleichen zu lesen. Merkste was?

Die Rezepte spiegeln die Vielfalt des „alten“ New York wieder: italienisch, jüdische, osteuropäische Einflüsse überwiegen deutlich. Hier wird gerne herzhaft und deftig gegessen, frittiert, ausgebacken und mit extra Mayo „verfeinert“. Das schmeckt sicher köstlich, macht aber fast schon beim Lesen satt. Sehr American Style eben. Die Zutaten sind allerdings gut auch hierzulande erhältlich oder können leicht abgewandelt werden. Kocheinsteiger finden ebenso Gerichte wie erfahrenere Hobbyköche. Letztere werden sich allerdings fragen, ob sie tatsächlich ein Rezept benötigen für ein gebratenes Steak mit Spiegelei. Und ob der Corned Beef Slider nicht einfach ein Reuben-Sandwich ist beziehungsweise der toskanische Tomaten-Brot-Salat in unzähligen Toskana-Kochbüchern nicht schon ausreichend vorgestellt wurde. Aber appetitlich sind die Rezepte allemal. Viele haben eine raffinierte Komponente oder ein neues Dressing, eine neue Sauce, die sich auszuprobieren lohnt.

Comfort Food
Gegrillte Salatherzen, Pancetta, Sardellen (warum bei Fleischgerichten und nicht bei Salaten?)

Etwas ärgerlich…

…sind die kleinen Ungenauigkeiten in den Rezepten. So werden etwa in einem Rezept „eingelegte Zwiebeln“ verwendet, aber leider bei den Pickle-Rezepten nicht aufgeführt. Was also sind eingelegte Zwiebeln? Silberzwiebeln? In Aceto geschmorte italienische Zwiebeln? Zwiebelconfit? Ja, nennt mich pingelig. Aber ich stolpere über solche Sachen. Überhaupt: Warum sind Kategorien wie „Pickles“ oder „Basics“ nicht im Inhaltsverzeichnis aufgeführt, dafür aber die „Dressings“? Und warum werden die gegrillten Salatherzen zum Fleischgericht? Wegen des Pancettas? Andererseits ist der Salat mit Räucherforelle nicht bei Fischgerichten zu finden sondern beim Salat. Mich macht sowas irre, wenn ich nach einem Rezept suche. Oder eine Zutat heißt schlicht „Rotwein“ (dagegen heißt es manchmal – aber nicht immer! – explizit „trockener Weißwein“). Dabei macht es schon einen Unterschied, ob ich einen Pinot Noir oder einen Shiraz an ein Gericht kippe. Von lieblichen Weinen ganz zu schweigen.

Last but not least ist der deutsche Titel schlichtweg bescheuert. Im Original heißt das Kochbuch wie das Restaurant von Russell Norman einfach Spuntino. Ok, das hätte hier keinem was gesagt. Dann eben „New-York-Klassiker aus London“ oder „Comfort Food aus New York“. Aber „Gute-Laune-Küche“ ist als Übersetzung von „Comfort Food“ einfach ein Schmarrn. Denn Comfort Food ist Trostspender, Kindheitserinnerer, Liebeskummervertreiber. Das hat mit Guter Laune erstmal nichts zu tun, sondern macht bestenfalls sentimental. Klingt aber halt schön. Da kann jetzt Russell Norman nichts für. Schwamm drüber. (Trotzdem: Über die deutschen Titel fremdsprachiger Bücher könnte ich selbige füllen. Ich glaube, ich muss mal einen Blogpost zu skandinavischen Krimis und ihren deutschen Titeln schreiben…)

Fazit: New York muss warten

Mein Drang in die USA zu fliegen, hält sich derzeit – in erster Linie aus politischen Gründen – in Grenzen. Bis sich die Zeiten wieder ändern, vertreibe ich mir die selbige mit herzhaften Gerichten aus diesem liebevoll gestalteten Kochbuch. Über die aufgeführten Ärgernisse schaue ich entspannt hinweg, denn COMFORT FOOD soll ja Trost spenden. Wer großer New-York-Fan ist oder das Spuntino aus London kennt, der wird an diesem (nicht ganz günstigen) Kochbuch seine Freude haben. Ein tolles Geschenk für solche Fans ist es allemal. Und da ein Ticket nach New York eh teuer ist, fliege ich vielleicht besser nach London und gehe bei Russell Norman essen. Lust dazu hätte ich nach dieser Lektüre jedenfalls!

Interessiert aber noch unentschlossen? Dann schau Dir doch mal die Rezensionen von Susanne und Ira an, zwei Food- bzw. Kochbuchbloggerinnen, die ich Dir ohnehin nur ans Herz legen kann!

*Das Buch „COMFORT FOOD. Gute-Laune-Küche aus New York“  wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Die Fotos hat mir ebenfalls der Verlag zur Verfügung gestellt. 

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  1. Julia, super Deine Rezension, mir ging es ähnlich mit dem Titel, da wurde mächtig auf die Pauke gehauen, ist halt manchmal auch einen Tacken zu viel! Russel Norman ist aber eigentlich Gastronom und er verkauft mit diesem Buch natürlich auch sein Konzept für ein Restaurant hier, das wurde verpackt. Ein benutzerfreundliches Inhaltsverzeichnis bei Büchern ist schon sehr selten geworden, das ist bei weitem kein Plädoyer für Schlampigkeit, aber da es viel Arbeit macht, wird das leider sehr vernachlässigt heute. Bücher habe ja heute nur noch eine Halbwertszeit von 6 Monaten und dann wird schon das nächste Buch in den Himmel gelobt. Vielleicht müssen wir als Blogger hier umdenken…. Ich danke Dir für diese kurzweilige Rezension, die nichts ausgelassen hat.

    1. Julia Author says:

      Liebe Ira, Danke für Dein Feedback. Ich stimme Dir zu: Das Rad auf dem (Koch)Büchermarkt dreht sich immer schneller. Das erklärt Vieles. Aber schlampig lektorierte Bücher oder schlecht übersetzte machen mich einfach kirre. Liegt vielleicht auch an meinem Literaturwissenschaftsstudium. Who knows? Jedenfalls ist es ein wirklich schön gemachtes Buch. Aber da 32€ auch viel Geld sind, wollte ich die kleinen Mankos nicht ganz verschweigen…

  2. Du hast so Recht! Ich kenne eigentlich nur einen Verlag in Wien, der sich für das Machen eines Kochbuchs 2 Jahre Zeit nimmt, vieles kommt heute aus einer Agentur, wo es schnell gehen soll und bei 99 Übersetzungen sind die Produktwelten nicht adaptiert noch schlimmer als Fehler oder weglassen, z. B. gibt es in Österreich keinen Schmand und Vanillextrakt und Créme double sind ein rein englisches Phänomen, das man sehr gut ersetzten kann. Leider bleiben diese Bearbeitungen die allermeisten Übersetzungen schuldig. Ich finde es sehr positiv, dass Du darauf verweist, dass es hier noch Optimierungspotential gibt. Ich versuche das bei den Rezepten auszugleichen, das können ja die Leser erwarten, dass ich hier genau bin.

  3. Hm. Ich glaube, ich werde langsam betriebsblind und sollte in Rente gehen; viele der Unstimmigkeiten, die Du erwähnst, sind mir gar nicht aufgestoßen. Das mit den Zwiebeln zum Beispiel.
    Was den Titel angeht…ich bin ja schon glücklich, dass sie nicht Soulfood genommen haben ;-). Die Kapitelstrukturierung hat mich kurz zucken lassen – aber für mich ist ein funktionierendes Register einfach wichtiger.
    Insgesamt ist das spannend, wie Bücher aus unterschiedlichen Blickrichtungen beurteilt werden.

    1. Julia Author says:

      Schmarrn! Ich fand deine Rezension toll. Mir fallen so sprachliche Sachen halt immer extrem auf. Dabei geht’s ja zu 99% um die Rezepte. Und da bist Du eh immer super!!

      1. Nö. Fällt mir immer wieder auf. Ich war mal genauer und weniger auf Autopilot geschaltet. Und genau deswegen fahre ich mein Pensum auch zurück.

  4. Die reißerisch übersetzten deutschen Titel für skandinavische Krimis sind wirklich immer wieder einen Aufreger wert. Mein Allzeit-Liebling ist da „Fasandræberne“ (zu Deutsch eigentlich „Fasanenmörder“) von Jussi Adler-Olsen, das hierzulande blutrünstigerweise „Schändung“ heißt.

    1. Julia Author says:

      Genau DAS ist auch immer mein Lieblingsbeispiel. Oder die Titel von Stig Larsson!!

  5. Oh ja, die sind auch „toll“. Ich weiß aber nicht, warum die Titel immer so seltsam übersetzt werden müssen — in der Regel haben die Originaltitel ja schon etwas mit der groben Handlung des Buches zu tun und wären meist auch ohne größere Mühe fast wörtlich ins Deutsche zu übertragen.
    Vielleicht erkennt die deutsche Leserschaft nur, dass es sich um einen Spannungsroman handelt, wenn ein blutrünstiger Titel groß darauf hinweist. 😉

  6. Ich bin sehr gespannt- dein Fazit klingt ja doch eher positiv.

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