In einer losen Reihenfolge werde ich Euch fortan am letzten Mittwoch des Monats Genussvolles aus meiner Heimatstadt Wiesbaden und dem Rheingau vorstellen. Den Anfang macht der lokale Online-Händler Kiezkaufhaus.
Seit etwa zwei Jahren vermeide ich das Online-Shopping wo ich nur kann. Ich möchte mich nicht beteiligen an überfüllten Straßen, ausgebeuteten Paketzulieferern und Logistikarbeitern, Einzelhandelssterben und verwaisten Innenstädten. Wie seht Ihr das?
Jedenfalls versuche ich im Buchladen um die Ecke, im Klamotten-Shop zwei Straßen weiter, dem Schuhgeschäft nebenan, im Tee-Haus den Berg hoch, der Stadt-Apotheke zwei Häuser weiter, dem Drogeriemarkt gegenüber, dem türkischen Supermarkt über die Kreuzung, dem Asia-Laden in der Parallelstraße, dem Weinladen-Nachbarn einzukaufen. Denn wer nicht lokal einkauft, braucht sich nicht zu beschweren über leerstehende Läden, zugeklebte Schaufenster, tote Seitenstraßen.
Frisches Obst, Käse und Gemüse hole ich auf dem Markt, Fleisch beim Metzger meines Vertrauens, Brot bei einem echten (!) Bäcker, 2 min von hier. Dabei ist mir bewusst, wie privilegiert meine zentrale Wohnlage für’s Einkaufen ist: Sämtliche Geschäfte befinden sich in Fußnähe und ermöglichen auch mir als Berufstätiger – zumindest samstags – bequem Auswahl, Beratung und Einkauf. Als Kind vom Dorf weiß ich aber nur zu gut, dass das auf dem Land ganz ohne Auto so nicht ginge. Dennoch: Über die Online-Bestelleritis der Nachbarn und Kollegen kann ich nur den Kopf schütteln. Nicht selten gleicht der Empfang im Büro einem Warenlager – schön aufgeteilt nach Eingang und Retouren – ganz zu schweigen von den Extra-Wegen zu Post und Paket-Box, wenn doch mal wieder keiner daheim war. (Ein paar (nicht überprüfte Zahlen) zu Online-Bestellungen findet Ihr hier.)
Wie klasse fand ich das, als ich erfuhr, dass man in Wiesbaden nun mit dem Kiezkaufhaus auch beides haben kann: Online-Shoppen mit Vor-die-Tür-Lieferung plus Unterstützung des lokalen Einzelhandels.
Im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit an der Hochschule RheinMain haben Gloria Kison und Tobias Heinemann bei Scholz & Volkmer die Idee für das Kiezkaufhaus ausgearbeitet. Die Arbeit wurde tatsächlich umgesetzt und ein Pilotprojekt ins Leben gerufen: Wiesbadener Einzelhändler präsentieren ihre Waren auf einer gemeinsamen Website, von der man sich dann seinen Warenkob zusammenstellen und liefern lassen kann. Der Clou: Zusammengestellt und geliefert wird von fleißigen Radlern mit E-Bikes – also ganz ohne Abgase und Verkehrsverstopfung.
Natürlich hab ich das gleich mal ausprobieren wollen, zumal einige meiner Lieblingsgeschäfte dort vertreten sind! Ganz nach dem Motto: Support your local dealer!
Das Angebot geht von Kaffee und Brot über Gemüse und Obst bis hin zu Käse und Wein. Auch Non-Food wie Schreibwaren oder Bücher werden bis zur Wohnungstür geliefert. Online konnte ich ganz einfach die Lebensmittelkategorie meiner Wahl aufrufen und dann mit der Maus über das bildlich angezeigte Warensortiment fahren. Preise und Mengenangaben werden eingeblendet und landen mit einem Klick im virtuellen Warenkorb. Die Preise entsprechen – soweit ich das im Kopf habe – den Ladenpreisen. Ab einem Wert von 50 Euro fällt zudem die gestaffelte Liefergebühr von drei oder fünf Euro weg.
Meine Testbestellung verlief reibungslos, pünktlich und vollkommen zufriedenstellend:
Service-Extras wie „Darf es etwas mehr sein“ bei frisch abgewogener Ware wie etwa Käse und der nach entsprechendem Feedback eingeführten Auswahl der Lieferzeit (zwischen 17 – 18:30h oder 18:30 – 20:30h kann gewählt werden) gehen weiter als viele herkömmliche Online-Shops. Bestellungen bis 14 Uhr werden noch am gleichen Abend geliefert. Da hat der lokale Lieferdienst deutlich die Nase vorn vor Amazon & Co.
Wer das Sortiment „seiner“ Einzelhändler gut kennt, aber nicht im Online-Angebot findet, kann eine entsprechende Nachricht hinterlassen und entsprechende Wünsche äußern. Bei ganz verzwickten Bestellungen sind die Betreiber zudem schnell erreichbar. Robert, mein radelnder Lieferant, war nicht nur superpünktlich, sondern auch freundlich! So viel Spaß an der Arbeit haben die Fahrer der üblichen Paketdienste vermutlich nicht.
Bei meiner Bestellung konnte allerdings ein Käse nicht geliefert werden. Schade, aber nicht dramatisch. Hätte ich ihn feste eingeplant für’s Abendessen, wäre es natürlich ärgerlich gewesen… Dafür habe ich einen feinen leckeren Riesling aus einem für mich neuen Weinladen entdeckt! Sämtliche Artikel finden sich in einer wiederverwendbaren Jute-Tasche, die bei jeder nächsten Bestellung wieder als Pfand eingesetzt werden kann – oder jetzt (wie bei mir) mit auf den Markt wandert. Aktuell werden nur die innerstädtischen Stadtteile beliefert, da die Radwege sonst vermutlich zu lang werden.
Das ist auch der einzige „Hinkefuß“ am Kiezkaufhaus. Denn: Wer wie ich in der Innenstadt wohnt, kann ja theoretisch selbst schnell zum Gewürzhaus, dem Hofladen, dem Wein-Shop. Noch spannender wäre eine lokale Online-Alternative eher für Menschen außerhalb der City. Aber das wäre dann wohl wieder nur mit Auto machbar… Trotzdem habe ich die Vor-die-Tür-Lieferung meiner Lebensmittel sehr genossen. Das hat mir dann samstags einen Gang zum Markt gespart!
Apropos Markt: Hier hatte sich das Kiezkaufhaus gleich noch etwas ausgedacht in der letzten Woche! Wer seinen Einkauf auf dem Wiesbadener Wochenmarkt nicht schleppen will, kann ihn sich nach Hause liefern lassen. Eine Service-Station steht bereit:
Noch befindet sich das Kiezkaufhaus Wiesbaden in der Testphase. Ob und wie es nach den ersten drei Monaten weitergehen wird, lassen die Initiatoren noch offen. Ich finde die Idee jedenfalls klasse: Den Einzelhandel unterstützen, alle Vorteile des Internets nutzen aber keinen zusätzlichen Autoverkehr auf die Straße bringen! Das ist Shopping 2.0 wie es mir gefällt. Jetzt brauchen wir nur noch eine ähnlich pfiffige Idee für all die Online-Shopper in den Vorstädten und auf den Dörfern…
Disclaimer: Meine Testbestellung habe ich selbst bezahlt. Auch wurde ich sonst in keiner Weise vom Kiezkaufhaus finanziell unterstützt. Die hier vertretene Meinung beruht ausschließlich auf meiner persönlichen Erfahrung.
Schön, dass Du darüber schreibst, ich habe immer mal so „Satzfetzen“ davon mitbekommen in den letzten Monaten und konnte mir nicht so richtig etwas darunter vorstellen.
Und so ganz OT – ist doch eigentlich verrückt, dass Blogger jetzt schon mitteilen, wenn sie NICHT für Artikel bezahlt worden sind, oder? Ich kann das Dilemma gut verstehen, da ich selbst so gerne so viele Empfehlungen ausspreche und immer meine, mich dafür rechtfertigen, bzw. abgrenzen zu müssen, dass es eben keine bezahlte Werbung ist. Filed under „total bekloppt“.
Ja, manche Dinge verleiden mir das Bloggen langsam. Zumal Verlage mitnichten alles als „Werbung“ deklarieren, was wir Blogger aber müssten… Naja, jedenfalls: ich finde die Idee des Kiezkaufhaus spannend! Mal sehen, wie’s weitergeht!
die Idee find ich klasse!
Mir gehts ja so, dass ich berufsbedingt als Präsenz-Apotheke schon aus Prinzip online-Bestellerei ablehnen sollte. Andrerseits sind meine Arbeitszeiten so dass ich meine Einkäufe schon akribisch planen muß und meist im Galopp absolviere…. da wäre so eine Institution für mich genau richtig.
Immerhin hat der sizilianische Großhändler im Landkreis mittlerweile eine online-shop, das finde ich auch sehr gut- obwohl das natürlich mit dem Auto geliefert wird.
Und ansonsten, ich bemühe mich! Wenn allerdings das englische Buch beim Händler vor Ort das dreifache kostet-…… kommt die Schwäbin durch.
Naja, eine Waschmaschine oder ähnliches lassen wir uns natürlich auch liefern. Da lohnt ja auch der Preisvergleich und es gibt kaum noch Elektroeinzelhändler. Und manchmal ist es einfach praktisch sich etwas liefern zu lassen. Trotzdem muss man vielleicht nicht jedes Buch, jedes Paar Schuhe online bestellen – und sich dann aufregen über die verödeten Innenstädte. Ich denke, Ihr in der Apotheke könnt ein Lied davon singen.
unbedingt…. das Stöbern im Buchladen, abnprobieren undsoweiter ist doch unbezahlbar!
und die persönliche Beratung in unsre Apotheke sowieso…. (g)
Besonders liebe ich ja „Käufer“, die sich vor Ort beraten lassen und dann im Internet bestellen. Auch schön in Reisebüros…
Auch wenn du fast alles in Laufweite hast, zu dem Wein/Käseladen Vinicus ist es schon ein ordentlicher Fußmarsch. Da macht eine gelegentliche Lieferung Sinn.
Lieber Peter, daher stammt ja auch der tolle Riesling, den ich „entdeckt“ habe. Und alleine dafür lohnte sich die Lieferung schon 🙂 Wein gehört eh zu den wenigen Dingen, die ich mir (z.B. vom Winzer direkt) liefern lasse. Zur Berkäsestation ist es, glaube ich, noch weiter. Da gehe ich aber schon alleine wegen der guten Beratung gerne hin…
Sorry wenn ich da mal so dazwischen gehen muss, aber das Projekt ist einfach nicht rentabel. So „toll“ die Idee vielleicht auch ist, hat sich da niemand Gedanken darüber gemacht ob das auch für die Zukunft haltbar ist. Es ist zu teuer zum betreiben, zu wenig Gewinn für den Betreiber. Was die Fahrer bekommen weiß ich zwar nicht, aber viel mehr als ein Amazon Lagerarbeiter wird es aber nicht sein … wenn´s überhaupt daran kommt.
Will es ja nicht schlecht reden, aber ist wieder so ein typisches Beispiel für nicht nachgedacht und hauptsache gemacht.
Es ist ja explizit ein Testbetrieb und soll noch überarbeitet werden. Ich finde es gut, wenn mal alte Denkmuster aufgebrochen werden. Über den Businesscase muss ich mir den Kopf nicht zerbrechen, kenne aber auch die Zahlen nicht…
Tolles Projekt, spannender Bericht – danke dafür! Auch wenn es als gewinnbringendes Geschäftsmodell so vielleicht noch nicht taugt, finde ich solche Ideen immer super – als Inspi und als Mutmacher dafür, neue Sachen zu wagen.
@barbara danke. ich sehe das auch so: einfach mal raus aus alten denkmustern und konsumenten zum nachdenken anregen. außerdem wird ein bisschen die werbetrommel für den einzelhandel gerührt!