Lieblinge im Oktober

Ich freue mich riesig, dass Ihr ebenfalls Spaß an meiner kleinen monatlichen Zusammenstellung habt. Falls Euch etwas fehlt oder Ihr gerne mehr von diesem oder jenem hättet, lasst es mich wissen. Denn das Jahr rast weiter wie in einer wildgewordenen Achterbahn. Und die eine „geschenkte“ Stunde am letzten Wochenende hilft da auch nicht. Ohne meinen Monatsrückblick wüsste ich jedenfalls überhaupt nicht mehr, wo die Zeit bleibt.

Gelaufen

…bin ich diesen Monat viel zu wenig. Ich musste arbeits-, gesundheits- und wetterbedingt ein paar Pausen einlegen. Aber dafür wurde ich dann auf den wenigen Läufen mit rot-goldenem Laub, Sonnenstrahlen und angenehmen Temperaturen belohnt. Auch Sturm Herwart hat mich nicht vom Laufen abgehalten – obwohl ich dann lieber durch Straßen ohne Bäume als durch den Park gelaufen bin. Das war dann auch eher „Kilometerfressen“ statt Laufgenuss. Denn zwischen Häuserwänden und geparkten Autos entlang kommt einfach keine Laufstimmung auf. Mein Plan für November: Mindestens ein langer Lauf am Rhein entlang. Und endlich, endlich will ich mal ein paar Zugvögel sehen!! Wo sind die denn nur?

Um’s Gehen, Weitergehen und „Der Weg ist das Ziel“ geht’s übrigens auch im „Oktober„-Gedicht von Erich Kästner:

(…) Geh nicht wie mit fremden Füßen,
und als hätt’st du dich verirrt.
Willst du nicht die Rosen grüßen?
Laß den Herbst nicht dafür büßen,
daß es Winter werden wird.
(…)

Gelesen

…habe ich auch etwas weniger. Aber dafür echte Kracher! Was für ein Glück, wenn einen in kurzer Zeit gleich zwei Bücher begeistern! Diesbezüglich war der Oktober wirklich golden. In meiner Facebook-Bücher-Gruppe habe ich zu den beiden Büchern Rezensionen hinterlassen, die ich hier gerne noch mal poste:

Neel Mukherjee: „In anderen Herzen“ (Verlag Kunstmann, 26€)

Der Verlag nennt es „Die indischen Buddenbrooks“. Ich mag solche Vergleiche nicht. Aber hier drängt er sich auf: Die Story um die indische Familie Gosh umspannt mehrere Jahrzehnte und eine fast unübersichtliche Zahl an Familienmitgliedern. Außerdem steht das Haus der Familie ebenso im Mittelpunkt wie das der Lübecker Sentorenfamilie. Aber natürlich liegt der Fall hier ganz anders: Kalkutta in den 60er Jahren, 20 Jahre nach Indiens Unabhängigkeit, ist ein zerrissenes, hoch politisches, armes Land. Gefangen zwischen Tradition und Fortschritt: Zwar dürfen die Töchter aufs College, um ihren BA zu machen. Der MA wiederum sorgt aber dafür, dass sie nicht mehr gut zu verheiraten ist. Zu klug! Denn natürlich werden Ehen wieterhin arrangiert. Witwen müssen sich nicht mehr den Kopf rasieren. Aber eine vegetarische Lebensweise und eine „Verdammung“ in ein dunkles Zimmer im Erdgeschoss sind weiterhin scheinbar kein Problem für das „moderne“ Indien.

Wie in Robert Altmans Film „Gosford Park“ wird immer sehr deutlich, wie die einzelnen Stockwerke und Zimmer die Hierarchien innerhalb der Familie und des Personals abbilden. Perspektivwechsel, zeitliche Sprünge etc. geben uns ein dichtes Bild oder zumindest einen Schnappschuss aus dem Kalkutta dieser Zeit. Eine Inhaltsangabe ist gar nicht möglich. Zu dicht webt Mukherjee das Netz um seine Figuren: Liebe, Verrat, Kastendünkel, politische Agitation, Korruption, Hinterziehung, Folter, Sex, Drogenabhängigkeit, Politik, Terror, Bildung… Alles drin in diesen rund 600 Seiten. Und noch viel mehr.

Selbst wer sich nicht so sehr für Indien interessiert, wie ich das tue, hat an dem Buch trotzdem seine Freude. Denn es ist phantastisch geschrieben. Die Perspektivwechsel, die „Kamerafahrten“ entlang des Hauses, durch die wir Einblicke in die einzelnen Etagen bekommen (brillant gemacht am Anfang!!) und die vielen Einblicke in die indische Kultur können einen gar nicht kalt lassen. Einziger Wehrmutstropfen: Das umfangreiche Glossar, in dem viele indische Begriffe erklärt werden, ist leider nicht vollständig. So blättert man teilweise vergeblich – gerade beim E-Reader immer nervig.

Aber sonst: Fette Leseempfehlung für alle, die gerne eintauchen in gut geschriebene „Schinken“ und immer mal hinter die Kulissen des Subkontinents blicken wollten!

Daniel Kehlmann: „Tyll“ (Rowohlt-Verlag; 22,95€)

Im Literarischen Quartett hat Thea Dorn den Till Eulenspiegel, den wir aus zahlreichen mittelalterlichen Legenden kennen, und über den wir historisch nichts wissen gesagt, er sei ja immer irgendwie das „Arschloch“ gewesen. Recht hat sie. Der Gaukler und Narr war boshaft, lachte meckernd über die Dummheit der Menschen, die auf seine bösen Streiche hereinfielen. Kindgerecht weichgespült tauchte er dann auch in der Kinderliteratur auf, wo er nichts mehr gemein hatte mit jenem Dyl Ulenspegel aus dem Volksmund.

Daniel Kehlmann setzt diesen biestigen Narren in eine Zeit, die noch viel böser ist als er selbst: den 30jährigen Krieg (1618-48). Das passt überraschend gut. Denn der Narr ist so verrückt und traumatisiert wie die Welt um ihn herum. Ein zerrissenes, geschundenes Europa, das Kriegstreiber und Kriegsgewinnler in Brand gesteckt haben – ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. War das Leben der armen Leute nicht ohnehin schon beschwerlich genug, kommen jetzt noch eine kleine Eiszeit, miserable Ernten, marodierende Landsknechte, die Pest uvm. zusammen. Die Menschen sind roh und verroht. Wer jemals etwas anderes als Krieg kennengelernt hat, kann sich kaum noch erinnern.

Und so lässt Kehlmann einen der Landsknechte, der am Massaker in Magdeburg dabei war, sagen: „Macht, was ihr wollt, hat der General gesagt. Man schafft das nicht gleich, weißt du, muss sich erst dran gewöhnen, dass man das wirklich darf. Dass das geht. Mit Menschen machen, was man will.“

In dieser Welt lebt der kleine Tyll als Müllerssohn. Der Vater wird als Hexer angeklagt, weil er sich ein bisschen zu sehr für Astronomie, Alchimie und Zaubersprüche interessiert. Und das in einer Welt, die zum einen unter dem Joch der Kirche steht, doch ebenso tief im Aberglauben verwurzelt ist: „(…) wir beteten zur Herrin des Waldes, und zu den kleinen Leuten der Mitternacht, zum heiligen Gerwin, zu Petrus dem Torwächter, zum Evangelisten Johannes, und sicherheitshalber beteten wir auch zur Alten Mela, (…)“ Viel hilft viel gegen den großen, alles verzehrenden Krieg, denken Linse eute. Und doch hilft ihnen keiner. Am wenigsten die Adligen und Oberen, die doch nur ihre Pfründe retten wollen und fast aus Versehen die Welt in Brand gesteckt haben. So entzaubert Kehlmann mit einem Federstreich den Prager Fenstersturz ebenso wie Gustav Adolf, den „Löwen aus Mitternacht“.

Kehlmann beschwört den bis noch ins 20. Jahrhundert als größten und furchtbarsten geltenden Krieg mit allen Sinnen herauf. Man kann Tod, Verwesung, Krankheit und Blut förmlich riechen, wenn man die rund 470 Seiten liest. Immer mittendrin der Tyll. Quasi als Korrektiv. Als Mensch in einer unmenschlichen, entmenschlichten Zeit. Der immer wieder die Bremer Stadtmusikanten zitiert: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“ Denn Gaukler sein, heißt auch frei von Knechtschaft und von Herren sein. Aber auch vogelfrei, ohne Rechte.

Und so gehören die Szene, in denen Tyll jongliert, in denen er die Nele mit sich nimmt, um aus dem Kreislauf aus Armut, Kinderkriegen, Knechtschaft herauszufinden, in denen er den König aus Böhmen durch den Schnee trägt, zu den poetischsten Szenen des Buches. Sie sind schön und herzzerreißend. Eben wie das Leben.

Deshalb ist für mich „Tyll“ auch ein lebensbejahendes Buch: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall. Wenn wir nur den Mut haben loszugehen. Denn wer zwei Füße hat, kann auf dem Seil balancieren oder wegrennen. Da haben die Verfolger auch keinen Vorteil, weil sie ja ebenfalls nur zwei Füße haben. So die Logik des Eulenspiegels, der mit seiner Narrenkappe nicht nur den anderen Protagonisten, sondern uns allen den Spiegel vorhält. Es gäbe noch viel zu sagen über Perspektivwechsel, starke Frauenfiguren, Drachen (!), Bigotterie uvm. Aber lest es selber. Eines der besten Bücher des Jahres!

Gereist

…sind wir für einige Tage nach Salzburg. Wie gut es uns dort gefallen hat, wen wir kennenlernen durften und was wir sonst noch so an Tipps mitgebracht haben von diesem wunderbaren Wochenende, lest Ihr hier.

Gefreut

…habe ich mich darüber, dass die lieben Ex-Agentur-Kollegen für ihren Kunden, die kalifornischen Walnüsse, meine kleine Fressseite interviewt haben. Im Oktober war ich also Blog des Monats und hab ein bisschen aus dem Küchenschrank geplaudert. Schaut doch mal rein – auch für viele knackige Walnussrezepte und köstliche Ideen für’s Kochen und Backen!

Gespendet

…habe ich meine Arbeitszeit und mein Know-how als Texter, Foodblogger, PR-Mensch für ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt: „Die Linse“ ist eine weltoffene Frauenkochgruppe aus dem Wiesbadener Schelmengraben. Frauen aus allen Himmelsrichtungen treffen sich seit einigen Jahren, um gemeinsam zu kochen. Den Rahmen dafür bietet die Arbeitsgemeinschaft Schelmengraben e.V. Und dieser Verein bringt jetzt in einem Crowdfunding-Prozess ein Kochbuch mit Rezepten aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern heraus. Das passt so dermaßen gut zum Blog, dass ich natürlich von Herzen gerne helfe. Denn wie heißt es hier beim German Abendbrot: Essen kann in der Ferne ein Stück Heimat sein – und in der Heimat das Fernweh stillenMehr zum Projekt erfahrt Ihr hier.

Gegessen

…wurde viel, gekocht aber wenig. Es gab einen schokoladigen Guglhupf mit spanischem Schuss für Zorra, wohltuend wärmende Miso-Suppe mit Einlage, größenwahnsinnige Pommes nach Heston Blumenthal als Begleitung zu zwei köstlichen Burgern namens Saupreiss und Fisherman’s Friend und einen weiteren schnellen China-Imbiss-Klassiker für zuhause: General Tso’s Chicken.

Mit großer Freude habe ich aber auch ein paar bereits verbloggte Klassiker gekocht für einen indischen Abend mit Freunden: Sooka Masala Lamm, Punjabi Matar Paneer, Pflaumenchutney und ein Babyspinatsalat mit Granatapfelkernen und Chicken Tikka. Der November kündigt sich schon mit wilden Herbststürmen an, die Lust auf dicke Suppen und Eintöpfe machen!

Gehört

…wurden starke Frauenstimmen. Die Popmusik scheint das einzige Kunstgenre zu sein, in dem Frauen gleichberechtigt oder sogar erfolgreicher sind als Männer. An Beyoncé, Katy Perry, P!nk oder Taylor Swift kommt derzeit, glaube ich, höchstens Ed Sheeran heran. Möge sich dieser Trend gerne auch in Literatur, Malerei, Film… durchsetzen.

Zwei (nicht mehr ganz neue) Songs mit tollen Frauenstimmen, die ich im Oktober sehr mochte, waren

Alex Hepburn „Under“

Jess Glynne „Take me home“

 

Was kommt?

Ich hab‘ ja nichts gegen den November. Mich regt erst der Februar so richtig auf, wenn ich genug hab von der grauen, dunklen Zeit. Aber nach einem langen Sommer und einem goldenen Herbst mag ich es, wenn es jetzt draußen dunkel, kalt und nass wird. Dann dreht das Jahr eben seine letzte Runde, bevor es mit Weihnachtsglanz und Silvesterfeuerwerk den Abschied feiert. Und gegen Schmorgerichte, Suppen und heiße Getränke ist doch wirklich nichts einzuwenden, oder?

 

 

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  1. Danke für diesen wieder interessanten Monatsüberblick

    Ich freue mich nun auf Deinen November

    1. Julia Author says:

      Gerne!! Schön, dass er Dir gefällt!

    2. Julia Author says:

      Liebe Ingrid, ich hoffe, der November rast nicht ganz so schnell. Sonst ist ja schon fast Weihnachten!!

  2. Danke für die Linse-Vorstellung – die Gruppe ist mir gar nicht bekannt. Was für ein tolles Projekt, und wie schön, das du dabei ist. Ich freue mich auf dem Kochbuch!

    1. Julia Author says:

      Schön, dass Dich das auch interessiert. Die Frauen machen auch Catering. Also, falls Du mal Bedarf hast… Auf das Kochbuch bin ich auch gespannt! Das erste Layout sieht schon toll aus! 🙂

  3. Habe ich nicht erst letzte Woche deinen September-Rückblick…
    Nein, aber die Zeit rauscht einfach so dahin, auch hier!

    Danke wiederum für deinen Überblick, vor allem die beiden Büchertipps. Indische Familiensaga kann mich zwar eher nicht begeistern (wahrscheinlich habe ich solche aus Sri Lanka und Myanmar zu viel gelesen!), dafür besitze ich aber bereits den Tyll: elektronisch gekauft. In dieser Richtung habe ich auch gleich den «Simplicissimus» von Grimmelshausen und Torbergs «Süsskind von Trimberg» aus dem Regal hervorgekramt, die lese ich dann im Anschluss wieder einmal!

    Einen schönen November wünscht dir
    FEL!X

    1. Julia Author says:

      Oh, der Simplicissimus ist auch eine tolle Lektüre. Ich habe mir zudem jetzt noch ein neues Sachbuch über den 30jährigen Krieg bestellt. Wenn das was taugt, stelle ich es hier gerne vor. Meine Rezension zu Englunds „Verwüstung“ kennst Du ja vielleicht? https://germanabendbrot.de/2016/02/15/ueberbrueckungs-post-peter-englund-verwuestung-eine-geschichte-des-30jaehrigen-krieges/ Dir auch einen schönen November!!

  4. 1-2-3-im Sauseschritt- es ist unglaublich. Ich komme überhaupt nicht dazu über novemberliche Stimmungen nachzudenken, davon lese ich dann hoffentlich bei dir. Grade könnte ich losschreiben was mich alles so beschäftigt zur Zeit, ich beherrsche mich aber und erspare euch dies. Vielen Dank, für dein Innehalten, Rückblicken und die Atempause in meinem Hirn.

    1. Julia Author says:

      Danke für das nette Feedback. Auch mir tut der Blick zurück ganz gut. Vieles ginge sonst vergessen… Ich hoffe, Dir geht nichts Schlimmes im Kopf herum. Der November kann ja manchmal etwas runterziehen…

      1. nö, keine Sorge- es ist einfach viel und sehr unterschiedliches was mich sehr beschäftigt.

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