19. Dezember: Schenk' mir ein Buch. Teil III

Und? Schon die Buchhandlung gerockt? Oder wartest Du noch auf die letzte Runde meiner Kurz-Rezensionen zu meinen Büchern 2016?

Dann legen wir doch am besten gleich mal los:

Emile Zola – Thérèse Raquin: Noch angefixt vom Naturalismus Dos Passos‘ „Manhattan Transfer“ (s. gestrigen Post) musste natürlich noch mal der Meister des Naturalismus auf den Nachttisch. 1867 erschienen brachte sein dritter Roman dem erst 27-Jährigen den Durchbruch. Thérèse wird in eine unglückliche Ehe gezwungen und schmiedet einen teuflischen Plan mit ihrem Liebhaber. Die enge des Pariser Nähgeschäfts, die dunklen Gassen, die Leidenschaft der jungen Frau, die in den Konventionen gefangen ist – ganz großes Kino. Für Freunde großer Dramen und detailreicher Beschreibungen.

9783423137041

Don Winslow – Tage der Toten: Whoa! Was für ein Krimi! Hard boiled Kost aus der südamerikanischen Drogenszene. Welche Wege die Drogen in die USA nehmen, wer davon profitiert und wer mit wem zusammengekettet ist in diesem schmutzigen Spiel, beschreibt Winslow knallhart, eiskalt und schonungslos. Wer die Serie „Narcos“ schaut, muss „Tage der Toten“ lesen.

Simon Scarrow – The Gladiator: Noch mal meine Römer-Legionäre-Soap (s. gestrigen Post). Immer wieder unterhaltsam, wie Macro und Cato durch ihre Abenteuer stiefeln, kämpfen, Feinde verdreschen, der fernen, römischen Politik ausgeliefert sind. Für Asterix-Fans.

Melanie Raabe – Die Wahrheit: So ganz verstehe ich den Hype nicht. Guter Plot, gute Idee. Aber dann doch arg konstruiert und wenig realistisch. Ein lange vermisster und für tot erklärter Mann kehrt plötzlich nach Hause zurück. Ist er’s? Ist er’s nicht? Nicht unspannend, aber es fehlt das gewisse Etwas.

Sinclair Lewis – Babbit: Ich schaue immer mal in meine alte Reihe von Literaturnobelpreisträger-Büchern rein, die mir mein Opa vererbt hat. Ich hatte mir ein zweites „Manhattan Transfer“ erhofft, bekam aber doch eher einen langweiligen Entwicklungsroman, der heute nicht mehr so ganz funzt. Es mag an der angestaubten Übersetzung des 1922 erschienenen Romans liegen, aber ich habe Babbit in der Hälfte abgebrochen. Merke: Nicht jeder Literaturnobelpreis ist auch noch 90 Jahre später nachvollziehbar…

Stephen King – Mind Control: Letzter Band der Mr Mercedes-Trilogie. Haarsträubend gut, böse, fies und einfach King! Hier wird’s etwas übersinnlicher als in den ersten beiden Bänden. Aber gruselig ist es dadurch nicht weniger. Die Trilogie ist ein guter Einstieg für King-Novizen, ein Muss für Fans und eine spannende Lektüre für alle anderen.

David Mitchell – Die 1000 Herbste des Jacob de Zoet: Bekannter ist Mitchell für seinen Roman „Cloud Atlas“ und die daraus resultierende Verfilmung. Dieses wunderschön aufgemachte Buch habe ich wieder einmal auf dem Krabbeltisch gefunden. Was für ein Glück! Das im 18. Jh. komplett von der Außenwelt abgeschottete Japan ist ein Buch mit sieben Siegeln für den jungen holländischen Kaufmann. Wie er dennoch versucht, sich der Kultur und ihren Menschen zu nähern, ist spannend und großartig be- und geschrieben. Wer wie ich als Kind „Shogun“ geschaut hat, wird dieses Buch lieben.

978-3-499-25533-5

Richard Dawkins – Gotteswahn: Noch mal ein Sachbuch, bereits 2006 erschienen. Dawkins’ Thesen: Der Glaube an Gott ist irrational und Religion hat stets negative Auswirkungen auf die Gesellschaft. Erschreckend aktuell, oder? Regt zum Nachdenken an. Vielleicht gerade zur Weihnachtszeit. Ein kluges, sicherlich polarisierendes Buch, das mit einem Tabu bricht. Für Theologie-Studenten, Zweifelnde, Fromme, Hadernde – und alle, die gerne mitsingen: „Imagine there’s no heaven / It’s easy if you try / No hell below us /Above us only sky (…) Nothing to kill or die for / And no religion, too“

Marc Twain – Is Shakespeare dead? Das wird man im Shakespeare-Jahr ja noch mal fragen dürfen, oder? Kluges, kleines Essay aus Twains Autobiographie, die berechtigte Zweifel an der Person Shakespeare schüren. Amüsant und ein Muss für Shakespeare-Fans und -Zweifler.

Jon Krakauer – In eisigen Höhen: Es gibt diese Bücher, die jeder kennt, und die doch keiner gelesen hat. Ich kannte die Story um die Katastrophe am Everest. Aber gelesen hatte ich das Buch noch nicht. Das habe ich jetzt nachgeholt, weil Freunde nach Nepal reisen und im Himalaya herumkraxeln. (Glücklicherweise nicht am Everest!) Lesenswert, weil es mal wieder zeigt, wie sich der Mensch selbst überschätzt und glaubt, für Geld könne er alles bekommen. Für Bergsteiger und solche, die lieber mit einem Buch auf der Couch bleiben.

Eoin McNamee – The blue tango: Merke: Nicht alles, was auf der monatlichen Krimi-Bestenliste der ZEIT steht, ist ein guter Krimi. Und wer gerne im Nordirland der Vergangenheit Kriminalfällen folgt, liest bitte McKinty (s. vorherige Posts). Das hier war nur zäh, langweilig, langatmig, blutleer (also im übertragenen Sinne). Aus einem wahren Fall hätte man mehr machen können. Das Opfer ließ mich dagegen völlig kalt. Das ist kein gutes Zeichen…

Mary Beard – SPQR: Die spinnen, die Römer! Wer etwas inhaltliche, historische Unterfütterung für Sandalenfilme und Römer-Soaps (s. oben, Simon Scarrow) haben will, sollte dieses kluge, chronologisch aufgebaute und umfassende Werk von Mary Beard lesen. Etwas wenig mitreißend. Aber dafür umso präziser, tiefgründiger und wirklich – ich erwähnte es – umfassend. Für Historien-Fans, Latein-Lehrer und Rom-Begeisterte.

u1_978-3-10-002230-1-56072497

Denise Mina – Die tote Stunde: Schon wieder ein Krimi, der in der Vergangenheit spielt. Diesmal in Glasgow der 80er Jahre. Das kann aber leider keiner so gut wie McKinty. Hier geht es um eine dickköpfige Journalistin, die korrupter Polizei gegenüber steht und deshalb ihren Kriminalfall lieber selbst auflööööööööst. Sorry, das war ein Gähnen, das ich nicht unterdrücken konnte. Wieder ZEIT-Krimi-Liste. Wieder ein Flop.

Charles Darwin – Reise eines Naturforschers um die Welt: Wenn Shakespeare und Thomas Mann meine Literatur-Helden sind, ist Darwin mein All-time-Wissenschafts-Superstar. Ich liebäugle sogar mit einem Tattoo mit Darwin-Bezug. Seine Reise auf der Beagle führte ihn einmal um die Welt. Aber quais „live“ mitzulesen, wie er die Vögel auf den Galapagos-Inseln beobachtet und sich über die vielen Formen der Schnäbel so seine Gedanken macht, die Evolutionstheorie hier also quasi zum ersten Mal ganz leise aufkeimt, ist einfach atemberaubend mitzulesen. Für Naturfreunde, Seefahrer, Weltreisende, Evolutionstheorie-Anhänger und solche, die es werden wollen.

T. R. Richmond – Wer war Alice? Eine junge Frau wird ermordet. Rückblickend setzt sich für den Leser Stück für Stück mittels Emails, SMS-Nachrichten, Blog-Kommentaren, Zeitungsausschnitten uvm. das Puzzle zusammen. Nur: Funktioniert leider nicht! Die Logik hat hausgroße Löcher, die Tweets und Blog-Posts sind total unrealistisch (hat der Autor jemals die Welt der Social Media betreten?) und größtenteils schreibt sowieso der alte Prof ellenlange Briefe, in denen er das Geschehen schildert. Schmarrn!

Arne Dahl – Sieben minus eins: Ich bin wieder versöhnt! Die Skandinavier können’s doch noch! WAS FÜR EIN KRIMI! Ein Serienmörder, eine fiese Vergangenheit, ein verstrickter Kommissar, eine toughe Geheimpolizistin, unschuldige junge Frauen als Opfer, mindestens eine krasse Wende – alles drin. Für Skandinavien-Krimi-Fans ein Muss.

9cf3fb7d26

Andreas Gryphius – Lesebuch (Fischer-Verlag): Ich hab‘ doch gesagt, ich liebe die Zeit der Reformation und des 30jährigen Krieges. Und ich bin Literaturwissenschaftler. Also komme ich an Andreas Gryphius nicht vorbei. Keiner hat das Elend so sprachgewaltig festgehalten. Ich lasse ihn für sich selbst sprechen in „Tränen des Vaterlandes“:

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun
Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch‘ ist umgekehret.
Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.
Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen.

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot,
Daß auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

Ein Buch für Lyrik-Fans. 

S. K. Tremayne – Eisige Schwestern: Ein Krimi vor der unwirtlichen Kulisse der schottischen Highlands. Aber Krimi trifft es nicht ganz. Thriller? Fantasy? In jedem Fall fand ich Zwillinge in Krimis ja schon immer gruselig. Nicht erst seit „Shining“. Hier stirbt ein junges Zwilling-Mädchen. Die Eltern versuchen – zum Wohle des übrig gebliebenen zweiten Mädchens – den Neuanfang. Aber haben sie das richtige Kind beerdigt? Und geht die enge mentale Verbindung der beiden Kinder über den Tod hinaus? Was ist überhaupt passiert an jenem schrecklichen Tag…? Gruselig, frostig, unterhaltsam. Für Fans von Yrsa Sigurdardottir und Krimis mit einem Hauch Übersinnlichem.

Peer Meter, Isabel Kreitz – Haarmann: Die gruseligsten Geschichten schreibt ja immer noch das echte Leben. Ob die jahrelang festgehaltene Natascha Kampusch, die Familie Fritzl, der Kannibale von Rothenburg oder das Haus von Höxter – so etwas kann sich kein Krimiautor ausdenken. Ähnlich verhält es sich mit Fritz Haarmann, dem Mörder und Kannibalen von Hannover, der in den 20er Jahren mindestens 24 Jungen umgebracht hat. Die ausgezeichnet illustrierte Graphic Novel zeigt die Enge und Armut der Hannoveraner Gassen, ohne je das Grauen zur Schau zu stellen. Auch wenn ich in meinem Leben kein Comic-Fan mehr werde: „Haarmann“ ist ganz großes Kino. Für Comic- und Graphic-Novel-Fans sowie Freunde des Götz-George-Films „Der Totmacher“. 

img_5140

S. K. Tremayne – Stiefkind: Wer gute Bücher schreibt, kommt auch gleich wieder auf das Nachttischchen. Diesmal geht es nicht um Zwillinge, sondern um einen Jungen, der seiner Stiefmutter prophezeit, sie werde sterben. Das habe seine verstorbene Mutter ihm eingeflüstert. Wow! Klingt gut, oder? Ich bin noch nicht durch, kann es aber jetzt schon empfehlen. Für Fans des wohligen, kalten Schauers.

Christopher New – Shanghai: Ähnlich wie „Stiefkind“ auch noch nicht ausgelesen. Und wie einige andere in dieser Liste für kleines Geld vom Krabbeltisch gekauft. Ein historischer Roman aus den 20ern rund um den jungen Engländer John Denton, der vom einfachen Zollbeamten aufsteigt, reich wird und am Ende die Kommunisten obsiegen sieht. Spannende, gut gemachte Lektüre für die Stunden vorm Schlafengehen. Für Fans von „Noble House“ von James Clavell und anderer großer Asia-Romane.

Folgende Bücher stehen noch auf der Liste für 2016:

Nathan Hill – Geister

John Williams – Augustus

Neel Mukherjee – In anderen Herzen

Ian Rankin – Gesetz des Sterbens

Tana French – The Trespasser

Was hab ich 2016 verpasst? Hast Du noch einen Tipp für mich?

Join the Conversation

  1. Mein Lesestoff überschenidet sich nur teils mit deinem Repertoire. Treffen könnten wir uns über „Deutschland 2064“ von Martin Walker. Krimis komme mir nur sehr wenige in’s Haus- mit großer Begeisterung habe ich alle von Rita Falk um ihren Kommissar Eberhofer gelesen. Unterhaltsam, witzig und spritzig zu lesen. Allerdings eben gerade keine Grusel-Krimis.

    1. Du, es muss nicht gruseln. Ich bin eh ne Schissbüx! Danke für Deinen Tipp.

  2. Bei deiner umfangreichen Auswahl hast du bestimmt nichts verpasst.
    Einen Tipp hätte ich gleichwohl:
    «Lukas Hartmann: Bis ans Ende der Meere. Die Reise des Malers John Webber mit Captain Cook. Diogenes 2009»
    Nicht ganz neu, aber hat mich total fasziniert.

    1. Wow, ich liebe Seefahrer-Bücher! Das klingt toll. Danke 🙂

      1. Gut! Dann dopple ich doch gleich noch nach:
        Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne. Eine Vermutung. Knaus 2005.
        Capus vermutet, dass Robert Louis Stevenson (der Autor der «Schatzinsel») selber einen Schatz entdeckt und von diesem auf der Südseeinsel Samoa viele Jahre gelebt hat.
        Ich selbst habe das Buch schon zweimal gelesen…

        1. R. L. Stevenson, mein großer Held! Das klingt genial. „Die Schatzinsel“ ist doch mein allerliebstes Lieblingsbuch!

        2. R. L. Stevenson, mein großer Held! Das klingt genial. „Die Schatzinsel“ ist doch mein allerliebstes Lieblingsbuch!

  3. Tantin & Professor Hu says:

    Vielen vielen Dank für diese wunderbare Zusammenfassung, ich liebe es, in kurzen und knappen Übersichten in anderen Bücherregalen zu schmökern. Überschneidungen sind enorm vorhanden, ich habe aber trotzdem gerne noch folgendes zu ergänzen:
    – Luther (Lyndal Roper), musste einfach mal sein zum „Luther-Jahr“
    – Der Susan-Effekt (Peter Hoeg), irgendwas zwischen Krimi, ein bisschen Übersinnlichem, Verschwörung und Wissenschaft und dabei ein wenig durchgeknallt, mein liebstes Buch in 2016
    – Der Pfau (Isabel Bogdan), einfach grandios, es geht um einen Pfau und Irrungen und Wirrungen zwischen Menschen – unbedingt lesen, man lacht sicht wirklich schlapp, mein Zweitliebstes in 2016
    – Der Kaffeedieb (Tom Hillenbrand), schöner Schmöker
    – Die seltsame Berufung des Mr. Heming (Paul Hogan), alles was ich schreiben würde, wäre ein Spoiler, feines schräges Taschenbuch.

    1. Danke vielmals für Tipps & Feedback! So viele Bücher, so wenig Zeit!!

  4. Vielen Dank für die Tolle Buchübersicht. Da ich fast ausschließlich englische Bücher im original Lese, freue ich mich über neue Tipps. Die irischen Krimis stehen schon auf meiner Liste! David Mitchell habe ich dieses Jahr auch zufällig entdeckt – habe aber Cloud Atlas gelesen :-). Eine meiner Entdeckungen dieses Jahr – Laura Marley, eine schottische Autorin, hab „No Wonder I take a Drink“ und „For Faugie’s sake“ Anfang des Jahres gelesen – da hatte der Brexit gleich einen anderen Kontext. Sprachlich war das Schottische anfangs etwas schwierig, aber kann ich nur empfehlen.

    1. Vielen Dank für das Feedback & Deine Tipps!!!

Schreibe einen Kommentar zu germanabendbrot Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Close
© Copyright germanabendbrot.de
Impressum - Datenschutz
Close