21. Dezember: Es war einmal… Winterzeit ist Märchenzeit!

Stellt Euch vor, Ihr müsstet Euren kompletten Tag nach Sonnenauf- und -untergang ausrichten. Es gäbe kein elektrisches Licht, kein TV, kein Radio, kein Internet. Da können die Abende und Nächte schon richtig, richtig lang werden. Erst recht in der Zeit zwischen den Jahren, wenn die Geschäftigkeit still steht und das neue Jahr noch nicht begonnen hat. Wenn die Winterstürme im Kamin heulen und sogar die Hausarbeit ruht, weil etwa die Wäsche nicht gewaschen werden darf (denn sonst holt Wotans „Wilde Jagd“ sie von der Leine!), dann ist viel Zeit zum Erzählen und Fabulieren und Spinnen.

Wen wundert es da, dass am knisternden Feuer und am surrenden Spinnrad Legenden, Märchen und Fabeln erdacht und weitergegeben wurden? Winterzeit ist Märchenzeit!

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Ich bin mit Märchen groß geworden und hoffe, dass auch heute Kinder noch Märchen erzählt und vorgelesen bekommen. Denn sie bringen uns viel über die Welt und das menschliche Miteinander bei, prägen uns und begleiten uns im besten Fall ein Leben lang.

Wie sehr ich die romantischen Märchen von Hans-Christian Andersen mit ihrem feinen Humor liebe und was das alles mit Brathähnchen zu tun hat, habe ich hier schon mal beschrieben.

Ebenso treue Begleiter sind aber auch die wunderbaren Märchen von Wilhelm Hauff. Ob der Kohlen-Munk Peter, der sein Herz mit Hilfe des Holländer Michels gegen ein kaltes Herz ausgetauscht hat, oder der Kalif, der sich an das Zauberwort „Mutabor“ nicht mehr erinnern kann, und somit ewig in der Gestalt eines Storches bleiben muss, bis hin zu den Spessart-Räubern, die der Reisegesellschaft im Wirtshaus solche Angst einjagen, dass diese sich mit Geschichtenerzählen wach halten, um nicht überrumpelt zu werden – sie alle sind Gestalten von Hauff und fest in meinem Gedächtnis verankert.

Als südhessisches Kind hoffte ich bei jeder sonntäglichen Spessart-Wanderung auf Räuberbanden zu stoßen. Wenn Feigen im Haus waren, bekam ich Angst, mir könnten Eselsohren wachsen wie dem kleinen Muck. Und dem ein oder anderen Typen in meinem Leben hätte ich gerne mal die Halskrause fester gezogen wie dem jungen Engländer.

Von allen der Liebste war und ist mir aber Zwerg Nase: Der kleine Jakob, der seiner Mutter auf dem Markt hilft, wird von dieser mit einer Alten nach Hause geschickt, um ihr die Waren heim zu tragen. Natürlich ist die Alte eine Hexe und verzaubert den Jungen in einen Buckligen mit riesiger Nase. Sieben Jahre lebt er bei ihr und allerlei komischen Tieren unter einer Baumwurzel (ihm allerdings kommt es vor wie ein kurzer Traum). Herzzerreißend die Szene, wenn er nach Jahren wieder zu seiner Mutter kommt und diese ihn nicht erkennt, sondern wegjagt. (Das hat mich als Kind immer völlig fertig gemacht!) Schließlich landet er beim Herzog und wird dessen viel gerühmter Koch. Denn kochen hat er bei der Alten gelernt! Eine sprechende Gans und viele Verwicklungen später, muss Zwerg Nase das Kräutlein Niesmitlust finden, um eine schwierige Aufgabe zu meistern. Natürlich hilft ihm die sprechende Gans, eine verzauberte Prinzessin!, Zwerg Nase erhält seine ursprüngliche Gestalt zurück, die Prinzessin muss keine Gans mehr sein, die Eltern erkennen ihren Jakob wieder – alles wird gut!

Und noch heute kommt mir das Kräutlein Niesmitlust immer wieder in den Sinn, wenn ich über eine bestimmte Zutat nachdenke, einen gewissen Pfiff vermisse, etwas herauszuschmecken versuche. Deshalb ist Zwerg Nase mit seinen Beschreibungen von köstlichen Pasteten, Klößen und Suppen, sind die Märchen von Wilhelm Hauff ein wahres Genussbuch und würdig für die Reihe „Jeden Tag ein Buch“.

141118_JTEB_v04Winterzeit ist Märchenzeit. Nehmt Euch doch mal wieder ein altes Märchenbuch vor (auch im Internet sind viele Originale zu finden) und taucht ab in phantastische Welten voller fliegender Teppiche, verzauberter Prinzessinen und sprechenden Tieren!

 

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  1. Ingrid O. says:

    …hm – wenn ich es genau bedenke, dann sind Märchen nie wirklich bei mir angekommen.
    Freilich wurde ich als Kind auch mit Märchen konfrontiert, aber sie haben mich nicht erreicht.
    Dagegen fand ich die Erzählungen meiner Grossmutter bedeutend spannender, wenn sie von ihren Erlebnissen als Kind erzählte. Weshalb? Sie waren so einfach, so glaubwürdig, so ehrlich.
    Besonders ein Erlebnis liebte ich zu tiefst, nämlich die Verkleidungsszene auf einem alten Dachboden, bei dem eine silberne Zuckerdose, als Krone zweckentfremdet, eine Rolle spielte.
    Später hab ich die 1001Nacht Märchen gelesen – aber da faszinierte mich die Welt des Orients mit ihren Kleidern (!), Düften, dem Glanz, bedeutend mehr, als der Inhalt.
    Es drehte sich alles eigentlich immer nur um die Gewänder.
    Auch heute noch, wenn ich gelegentlich ein Märchen im Fernsehen anschaue, dann geht der Inhalt völlig an mir vorüber – es sind nur die Kostüme.

    Als mein Enkel noch recht klein war, hab ich einmal Hänsel und Gretel zusammengestottert und dabei festgestellt, dass grad dieses Märchen von einer erschreckenden Realität ist.
    Arme Eltern setzen ihre Kinder aus, von Fremden werden sie missbraucht und am Schluss nehmen sie schreckliche Rache…….

    Da ist mir einfach der Pumuckel in seiner Frechheit näher.

    Recht unromantisch, gell?

    Einen schönen 4. Advent!

  2. Du hast recht, ein Märchenbuch könnte ich auch mal wieder zur Hand nehmen. Hab doch einige davon- aber auch einiges was du erwähnst kenn ich (noch) nicht. Immer wieder freu ich mich diebisch den Irrtum vom Froschkönig aufzuklären…. wer küßt schon einen Frosch???

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