Jade – Chinesische Perle im Frankfurter Bahnhofsviertel (und kleine Philosophie über eben jenes)

Ich liebe das Frankfurter Bahnhofsviertel. Nein, ICH LIEBE DAS FRANKFURTER BAHNHOFSVIERTEL! (Wem’s nur um’s Essen geht, muss bitte ein bisschen runter scrollen)

Ich mag den Mix aus leicht verwitterten Altbauten und Hochglanzfassaden:

Diesen Mix aus Bankern und Junkies, Starbucks und Dönerläden, Jugendherbergen und Designhotels, reich und arm.

Wo sonst wird man angequatscht und um „’n bisschen Kleingeld für’s Frettchen!“ gebeten. Ein Blick auf das Ding, das am anderen Ende der Leine hängt, erklärt die kuriose Bitte…

Was mir weniger gefällt, ist die auch hier galoppierende Gentrifizierung. So viele Jung-Dynamiker auf teuren Bikes und mit wehenden Sakko-Schößen, die auf dem Gepäckträger ihren Bio-Einkauf nach Hause radeln, hat man vor 5 Jahren hier noch nicht gesehen. Zwischen den abgebröselten Fassaden findet man auch mehr und mehr kernsanierte Super-Altbauten, deren gut getuchte Wohnklientel man schon daran erkennt, dass keine Satellitenschüsseln mehr an der Hauswand hängen und keine Wäsche vorm Fenster zum Trocknen aufgehängt ist.

Ich bin da immer sehr gespalten: Mit den Erfahrungen aus München, wo kaum noch ein Viertel verschont bleibt vor Investoren und darauffolgenden Mieterhöhungen, stehe ich der Erschließung „ärmlicher“ Stadtteile durch das so genannte Bionade-Biedermeier skeptisch gegenüber. Andererseits: Kann ein Viertel nicht auch profitieren von frischem Wind, kaufkräftiger Klientel und neuen Gesichtern? Wird eine Gegend wie das Bahnhofsviertel nicht lebendiger, familienfreundlicher, bunter? Ich bezweifle es, ehrlich gesagt. Denn häufig sorgt der Zuzug der Besserverdienenden schlicht für höhere Preise, die sich das angestammte Publikum nicht mehr leisten kann und wegziehen muss. Die Viertel werden somit gleichförmig, eintönig und austauschbar. Der ursprüngliche Charme, der ursprünglich mal der Grund war, warum man so gerne z.B. nach Berlin Friedrichshain, Frankfurter Nordend oder München Sendling gezogen ist, geht häufig verloren.

Dabei war das Bahnhofsviertel schon bunt, lange bevor die Boogaboo-Kinderwagen kamen: Hier gab es Sex und Drogen, Multikulti, Stoff- (höhö) und Pelzhändler, Freimaurer und die Nitribitt – und, ja, auch Kriminalität und jede Menge sozialer Probleme. Ich bin ja kein Sozialromantiker. Eben alles, was eine Stadt ausmacht – nur auf engstem Raum.

(Eine ZDF-Dokureihe über die Menschen im Bahnhofsviertel gibt sehr liebevolle aber nicht romantisierende Einblicke. Und eine spannende ARD-Reportage hat mal die Geschichte der Kaiserstraße als Verbindung zwischen Bankenviertel und Hauptbahnhof aufgezeichnet. Selten habe ich gebannter vorm TV gesessen…)

Was ich am ursprünglichen Bahnhofsviertel so liebe, zeigt vielleicht diese itsy-bitsy Episode:

Auf Parkplatzsuche nach Feierabend, um meine Freundin M. im China-Restaurant „Jade“ (ja, kommt gleich!) zu treffen, hat es mich in den etwas schäbigeren, schmuddeligeren Teil der Moselstraße verschlagen. Einzig freier Parkplatz: Direkt vor dem Eingang einer neonbeleuchteten Peep Show. Super! Nach unserem Abendessen (bitte noch etwas Geduld, es ist gleich soweit) und auf dem Weg zum Wagen, habe ich gesehen, dass sich ein Fahrer schwer tat, in die kleine Lücke hinter meinem Auto zu kommen. Gleich zwei etwas halbseiden wirkende Koberer halfen ihm durch Handzeichen und viel Tam-Tam.  Ich also schnell hin: „Moment, ich fahr‘ doch eh weg, dann habt ihr’s leichter!“. Die drei schweren Jungs: beeindruckt und scheinbar nicht gewohnt, dass eine Frau aus einem offensichtlich anderen Gewerbe nicht einfach nur mit gesenktem Blick vorbei geht, sondern Hilfe anbietet. Zum Lohn wurde ich jetzt meinerseits mit viel Gestikuliere und Galanterie aus der Parklücke gewunken, der durchfahrende Verkehr theatralisch zurückgehalten, um mich rauszulassen. Und für einen Plausch reichte es auch noch. Koberer: „Kommst aus Minga?“ (das Nummernschild entlarvt mich derzeit noch) Ich: „Jo, scho!“ Darauf folgte ein netter Plausch über woher und wohin, wo gewohnt und warum weggezogen, München vs. Frankfurt – alles, während das Nachtleben im Rotlichtviertel weiterlief. Zum Abschied noch ein hinterher gewunkenes: „Komm gut heim!“, begleitet von einem „Gebt’s a Ruh!“ zu den hupenden Wagen hinter mir.

Ich hoffe sehr, dass auch dieser weniger vorzeigbare und nicht in das Bankfurt-Image der Stadt passende Teil des Bahnhofsviertels nicht schon bald Tagescafés, Designer-Kinder-Boutiquen und Elektro-Bike-Shops weichen muss. Frankfurt wäre um mindestens eine Facette ärmer…

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He, das musste mal raus! Und wer jetzt neugierig geworden ist, der geht einfach selber mal hin. Gucken und staunen. Und setzt sich bei schönem Wetter auf die langen und wackligen, bunt gedeckten Tische (mit Kleenex-Box statt Servietten) aufm Bürgersteig vor das „Jade (Magic Wok)“ (Moselstraße 25):

Nicht zu verwechseln mit dem Laden gegenüber, der dummerweise AUCH „Jade (Asian Food)“ heißt:

Zu viel Kreativität bei der Namensfindung kann man den Betreibern jedenfalls nicht vorwerfen. Also: Das grüne Schild führt Euch aber zum RICHTIGEN Lokal.

Hier dann bitte auch die richtige Karte bestellen. Nicht das in Plastik gebundene Touristen-Teil, sondern einfach nach der „anderen Karte“ fragen. Oder der „chinesischen Karte„. Die ist hellblau und aus dicker Pappe. Und darin befinden sich laut meiner Freundin M., der Weltreisenden, ECHTE chinesische Gerichte, die so schmecken wie in China oder zumindest in Chinatown in San Francisco. Dazu ordert man Jasmin Tee oder den herrlich erfrischenden hausgemachten Ice Tea.

Am besten verschiedenste Gerichte aussuchen und miteinander teilen. Hier kann man dann noch mal entscheiden zwischen kleineren und größeren Portionen. Je nachdem, ob einer alleine oder mehrere mitessen möchten. Wir hatten

Seetang-Suppe mit Tintenfischbällchen und Wan-Tans. Dampfend, würzig, fischig, unfassbar gut. Ein echter Gesundbrunnen. Außerdem:

Wasserspinat mit frittiertem Knoblauch, Chili und Bohnensauce. Knackig, frisch, wahnsinnig aromatisch.

Frittierte Tintenfisch-Tulpen mit Szechuan-Pfeffer und Chili. So knusprig (außen) und wunderbar zart (innen). Eines der leckersten Gerichte, das ich je gegessen habe. Ich bin süchtig!

Danach kommt auf Kosten des Hauses noch ein kleiner Nachtisch und etwas Obst. Trotzdem wollten wir noch nicht gehen. Es war warm, wir konnten Leute gucken und alte Geschichten austauschen, neue erzählen und über den Wandel des Viertels philosophieren, in dem wir damals gemeinsam bei meinem „ersten Inder“ waren, als es noch anders aussah links und rechts der Kaiserstraße.

Und so viel Philosophie macht hungrig. Wer ständig Essensgerüche von den Nachbartischen in der Nase hat, bestellt sich halt nach dem Nachtisch noch einen Teller gebratene Nudeln mit Sea Food und verlässt satt, glücklich und mit einem wunderbar warmen „homecoming“-Gefühl das „Jade“. (Beim nächsten Mal folge ich noch mal M.s Tipp und probiere den chinesischen gedämpften Fisch, der zum Tagespreis frisch auf den Tisch kommt!)

Ach ja, für all das Essen und Trinken haben wir an dem Abend insgesamt etwa 45 Euro bezahlt. Wer weiß, wie lange man solche Perlen noch findet im heiß geliebten Bahnhofsviertel?

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  1. also da muss ich dringend hin!

  2. Wie schön! Das Bahnhofsviertel ist praktisch die einzige Gegend von Frankfurt, die ich ein bisschen kenne, doch sie ist mir sehr sympathisch. Erst letzte Woche übernachtete ich wieder im geschätzten Hotel Nizza in der Elbestraße – hat einerseits eine möglicherweise böse (wg. Gentrifizierung) Dachterasse, auf die andererseits über Metallkamine die Dünste zweier guter türkischer Bratereien ziehen. Das nächste Mal plane ich ein Besuch im Jade ein.

    1. Ach, das Nizza gibt’s ja schon ewig und ist deshalb keinesfalls „böse“ 🙂 Ich mache mir eher Sorgen um die Wohnsituation der alteingesessenen Bahnhofsviertler… Das Jade lohnt sich in jedem Fall. Aber nicht ins Falsche gehen!

  3. Stubenfliege says:

    Klasse geschrieben!

    Das Restaurant werde ich die Woche mal ausprobieren

  4. Ich bin ja leicht bahnhofsviertel-geschädigt, nachdem ich jahrelang in unmittelbarer Umgebung des Münchner Hauptbahnhofs gewohnt habe. Ich glaub als Besucher ist das immer ganz spannend und aufregend und man wünscht sich, es solle ewig so bleiben, aber wenn man da wirklich wohnt, wünscht man sich dringend Veränderung, mehr Ruhe, andere Nachbarn….. und zieht irgendwann weg. Die unschlagbaren Vorteile sind aber definitiv, dass man immer frische Milch bekommt. Oder schnell was aus der Drogerie besorgen kann. Oder Lesestoff für ruhige Sonntagnachmittage kaufen kann.

  5. @Stubenfliege Lass unbedingt mal hören, wie es Dir geschmeckt hat. Wir sind voraussichtlich auch bald wieder dort. Einfach zu lecker – aber vergiss nicht, die richtige Karte (hellblau, nicht gelb + Plastik) zu ordern!

    @Katharina Naja, klar. Als Anwohner sieht man das immer auch noch mal anders. Aber wir wollten eigentlich gerne dorthin ziehen. Leider war das Wohnungsangebot entweder lächerlich teuer o. halt total runtergekommen. Und irgendwie wollten wir nicht Teil der Gentrifizierung sein… Für abends oder zum Bummeln finde ich es aber nach wie vor klasse (übrigens auch das in München).

  6. Heute gehe ich endlich hin, freu mich schon seit Wochen drauf nach deiner super Kritik! Ich mag das Frankfurter Bahnhofsviertel übrigens auch sehr – das letzte Mal da war ich echt überrascht, wie viel sich getan hat in den letzten paar Jahren, gerade ist es einfach eine tolle Mischung.

  7. @Anna Oh, ich bin so gespannt, was Du sagst!! Aber unbedingt nach der BLAUEN Karte fragen. Nicht vergessen!! Kommst Du eigentl. aus der Frankfurter Ecke? Dann sollten wir uns dringend mal auf einen Äppler treffen…

  8. Aber natürlich hab ich nach der blauen Karte gefragt und kam mir dabei total cool vor ;-). Meine Begleitung & ich haben uns die Suppe geteilt, die du auch hattest, in der Tat Fitness zum Trinken, sehr lecker. Dann gabs den Topf mit Aubergine & Fleisch, der war auch super lecker. Nur etwas fettig wars mir. Ich hatte irgendwie gehofft, dass ‚original‘ chinesische Küche da etwas sparsamer ist als der reguläre Imbisschinese. Leider gabs keine Dumplings (ich träum heut noch von denen, die ich mal in London gegessen habe, da gibts sogar einen Dumplingrestaurants), aber das ist wohl eine andere Regionalküche als die vom Jade. Ich wollte dann eigentlich noch den Tintenfisch probieren, war aber zu satt 🙂 – beim nächsten Mal. Denn ja, ich komm aus der Frankfurter Ecke und bin regelmäßig da; für ein Äpplerdate bin ich also gern zu haben (muss man ja auch ausnutzen wenn das mal jemand trinkt 😉 )!

    1. Ich fürchte, die chinesische Küche ist teilweise schon arg deftig. Ich hatte im Jade neulich gegrillten Schweinebauch. Das war grenzwertig, aber extrem zart und lecker! Dann lass uns mal gemeinsam den Tintenfisch bestellen o. auf einen Äppler treffen. Ich freu mich aufs (persönliche) Kennenlernen.

  9. Hi Julia! Super Artikel über das „richtige“ JADE und das dazugehörige Viertel. Hab deinen Blog zufällig entdeckt und bin allein schon von deinem Motto – „Das Leben ist zu kurz für schlechtes Essen“ – begeistert! Wie recht du hast. Es lebe das gute Essen…VIVA! LG aus deiner Heimatstadt…Pascal

    1. Das freut mich aber sehr! Schön, dass Dir das Blog gefällt. Hoffe, ich „sehe“ Dich jetzt öfter hier 🙂

  10. Der Jade gegenüber hat die gleichen Gerichte. Die gehören zusammen.

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